Ein nie alternder Schauspieler

Tarık Akan
Tarık Akan
“Adak” (Das Opfer)
“Eylül Fırtınası” (Septembersturm)
„Karartma Geceleri“ (Verdunkelte Nächte)
„Pehlivan“ (Der Ringer)

In den 1960er Jahren war der Schauspieler Ayhan Işık der Liebling aller Frauen in der Türkei. Der Spruch “Ayhan Işık, bütün kızlar ona âşık!” (Ayhan Işık – Alle Mädchen sind in ihn verliebt!), der sich im Türkischen so schön geschmeidig reimt, war ein Jahrzehnt lang in aller Munde. In den 1970er Jahren erfand der Volksmund einen neuen Reim: “Tarık Akan, bütün kızlar ona hayran!” (Tarık Akan – Alle Mädchen sind von ihm fasziniert!). Gemeint war ein aufstrebender Schauspieler, der 1970 den Talentwettbewerb des berühmten Magazins Ses gewonnen hatte: Ein sehr gut aussehender junger Mann mit fast kindlichem Blick, der smarte „Junge von nebenan“ – für das damalige türkische Hollywood, Yeşilçam, ein ungewöhnlich zarter Frauenheld, der spätestens nach seinen ersten beiden Streifen „Vefasız“ (Die Undankbare) und „Solan Bir Yaprak Gibi“ (Wie ein verwelktes Blatt) im Jahr 1971 alle weiblichen Herzen des Landes erobert hatte. In kurzer Zeit wurde er zum gefragtesten Star für Familienfilme wie zum Beispiel die mehrteilige Komödie „Hababam Sınıfı“ (Die chaotische Klasse). Später entwickelte er sich – um es mit den Worten des Kritikers Atilla Dorsays auszudrücken – „vom Schönling zum wahren Schauspieler“. Er spielte in zahlreichen gesellschaftskritischen Filmen, u.a. in “Nehir” (Der Fluss), “Baraj” (Der Staudamm), “Kanal” (Der Kanal), “Sürü” (Die Herde), “Maden” (Das Bergwerk), “Demiryolu” (Die Eisenbahn), “Adak” (Das Opfer) und “Yol” (Der Weg). Es waren Werke, die den Beginn einer engagierten, anspruchsvollen und politischen Filmkunst markierten, in der sich Tarık Akan zu einer „wahren Leinwandpersönlichkeit“ entwickelte. Vielleicht ist der Begriff „wahre Leinwandpersönlichkeit“ irreführend, denn er war in jeder Phase seiner Karriere in der Lage, die unterschiedlichsten Rollen mit absoluter Präzision an die Realität anzupassen.

In den 1980er Jahren spielte er in wichtigen Filmen wie “Pehlivan” (Der Ringer) , “Kan” (Das Blut), “Ses” (Die Stimme), “Derman” (Trost) und “Beyoğlu’nun Arka Yakası” (Die Hintergassen von Beyoğlu). In den 1990er Jahren folgten “Devlerin Ölümü” (Tod der Giganten), “Karartma Geceleri” (Verdunkelte Nächte), “Uzun İnce Bir Yol” (Ein langer und schmaler Weg), “Yolcu” (Der Reisende) und “Eylül Fırtınası” (Septembersturm). Nach seiner vorläufig letzten Rolle in „Deli Deli Olma“ (Sei nicht verrückt) im Jahr 2009 blickt Tarık Akan auf eine bemerkenswerte Karriere von 115 Filmen... Darunter befinden sich kaum Werke, die man sich nicht wieder anschauen würde und enorm viele, die zu den Paradebeispielen der siebten Kunst gehören: Ob als fauler Student, Sohn eines Fabrikanten, herzensbrechender Basketballer oder ob als Ringer, der den Kampf gegen das Leben nicht aufgibt, als Gefangener mit Freigang oder als Polizist, der sich in den Istanbuler Nächten verliert... Nimmt man die Filmographie Akans genauer unter die Lupe, stellt man eins fest: Es handelt sich hier um einen Schauspieler, der zwar älter wurde, aber keineswegs altmodisch! Wenn wir die unvergesslichen Momente in seinen Filmen und alle Figuren, die er verkörperte, Revue passieren lassen, würden wir ihn stets als einen Charakter mit Rückgrat sehen.

Seit dem Militärputsch 1980 beweist er seine Standhaftigkeit auch als politisch Engagierter. Konsequent in seinem gesellschaftspolitischen Wirken, ist er heute als intellektueller Künstler im Gegensatz zu manchen anderen ein Symbol, dem Freund und Feind Respekt zollen.

Abgesehen von den Filmen, die ich oben erwähnte und die sicherlich zu den herausragendsten Beispielen der türkischen Kinogeschichte zählen, möchte ich allen Filmliebhabern und Kritikern die weniger bekannten Werke des Künstlers ans Herz legen. Dazu zählen u.a. “Canım Kardeşim” (Mein treuer Bruder, Regie: Ertem Eğilmez, 1973); „Sevgili Dayım“ (Mein lieber Onkel, Regie: Zeki Ökten, 1977), die Verstrickung eines nichtsnutzigen Frauenheldes in einen Diamantenschmuggel; “Seninle Son Defa” (Ein letztes Mal mit dir, Regie: Feyzi Tuna, 1978), die unglückliche Liebesgeschichte einer kleinbürgerlichen Städterin; “Kuduz” (Tollwut, Regie: Yaşar Seriner, 1983), der Kampf eines hinkenden Bauern, der die von tollwütigen Hunden gebissenen Dorfkinder zu retten versucht; “Bir Avuç Cennet” (Eine handvoll Paradies, Regie: Muammer Özer, 1985), der harte Überlebenskampf einer in die Großstadt migrierten Familie; “Dönüş” (Die Rückkehr, Regie: Faruk Turgut, 1988), die Bemühungen eines meisterhaften Speerwerfers den ihm fehlenden Brautpreis durch Wettbewerbe zu finanzieren und nicht zuletzt “Devlerin Ölümü” (Tod der Giganten, Regie: İrfan Tözüm, 1990), beruhend auf den Kurzgeschichten von Sabahattin Ali.

Jeder dieser Filme besticht durch eine ungewöhliche Erzählweise und bietet angehenden Schauspielern ein reiches Anschauungsmaterial von einem großartigen Ausnahmekünstler, der die Entwicklung des türkischen Kinos in den letzten Jahrzehnten miterlebt und mitgeprägt hat und dem es meisterhaft gelungen ist, Neues und Altbewährtes miteinander zu verschmelzen. Dafür danken wir ihm...

Tunca Arslan